Keine Spur von Ruhestand – neue Ideen sind gefragt
Rottenburger Dreieinigkeitskirche feiert 65jähriges Bestehen
Mit einem festlichen Gottesdienst, einem fröhlichen Empfang, viel Musik und Begegnung feierten die evangelischen Christen am Sonntag in Rottenburg am Vortag des Kirchengeburtstags, der Reformation, ihren 65. Geburtstag. Eingangs ließ Pfarrerin Veronika Mavridis die „Jubilarin“ erzählen, wer denn mit und ihr schon alles gearbeitet habe, wer ihr Gutes getan habe und welche Veränderungen sie erlebt habe.
Die Kirche erzählt
„Zuallererst wollte ich Heimat geben“, erzählte die Kirche. „Heimat für die Geflüchteten, für die Evangelischen, die durch den 2. Weltkrieg in der Region von rund 25 auf 2.800 angestiegen sind“. Und natürlich „Heimat für den Glauben“. Denn was bleibe, wenn alles verloren ist, das Zuhause, die Möbel, die Erinnerungsstücke, die Freunde und vielleicht auch Familienmitglieder, die die Flucht und den Krieg nicht überlebt haben, sei der Glaube an Gott und die Hoffnung auf einen neuen Anfang. Pfarrerin Mavridis erinnerte an das segensreiche Wirken ihrer Vorgänger-Pfarrer, gekommen war Pfarrer Gotthard Münderlein (1984 – 1992), der sich in seinen Dankesworten daran erinnerte, dass dies seine erste Pfarrstelle gewesen sei. „Ich bin genauso alt wie diese Kirche und ab 1. November im Ruhestand“, so Münderlein. Insofern sei es für ihn ein wunderbares Erlebnis, am vorletzten Tag seines Arbeitslebens an dieser Feier teilnehmen zu dürfen, wo sein Pfarrerleben begann. Als "seine erste und letzte Liebe“ hatte Pfarrer Christian Reich (1993 – 2001) die Beziehung zur Rottenburger Dreieinigkeitskirche einmal bezeichnet. Als „erste Liebe“, weil es seine erste Pfarrstelle in Deutschland war und als „letzte Liebe“, weil er von Rottenburg aus in Pension ging. Er wurde krankheitsbedingt vertreten von seiner Frau Ilse-Maria Reich, die durch Kirchenchor und Musikschule ebenfalls eine sehr enge Beziehung zur Rottenburger Gemeinde hat.
Nach fünf Monaten Bauzeit wurde die Kirche eingeweiht
Für die „Laudatio“ auf das Geburtstagskind, also für die Festpredigt war eigens Dekanin Dr. Nina Lubomierski nach Rottenburg gekommen. Sie erinnerte in ihren Ausführungen an die Anfänge in Rottenburg und stellte mit großer Anerkennung auch die handwerklich-logistische Leistung heraus: Denn im Juli 1957 war die Grundsteinlegung und bereits im Dezember 1957 – also nach nur fünf Monaten Bauzeit sei die Einweihung der Kirche erfolgt.
Ein´ feste Burg sei unser Gott
Für die Bewahrung des Glaubens wollte sich die Kirchengemeinde damals einen eigenen Ort schaffen – getreu dem Kirchenlied von Martin Luther „Ein feste Burg sei unser Gott“. Hoch wie eine Burg und kalt wie eine Burg sei der Kirchenbau auf der Klitzinghöhe gewesen – und anfangs auch abseits der restlichen Stadt. Ausgehend vom Zitat Otto von Bismarcks „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt“, stellte Dr. Nina Lubomierski Parallelen zu den Generationen her, die in den letzten 65 Jahren für die Kirche gesorgt hätten.
Während sich die erste Generation eine Burg baute, um nach den den Gräueltaten des Krieges und der Flucht sicher zu sein und eine neue Heimat zu finden, füllte die zweite Generation diese Kirche mit Leben. In den 1990er Jahren begannen sich verschiedene Gruppen für alle Generationen und Interessen zu gründen – Kinderabenteuer-Tage, Taizée-Gebetsabende, die Volleyball-Gruppe wurde gegründet und natürlich gab die Musik durch die die Gründung der „Chorgemeinschaft mit der städtischen Musikschule“ den Ton an.
Unsere Generation, die dritte Generation, musste die Erfahrung machen, dass diese Kirche, diese Burg angreifbar ist. „Christen in aller Welt machen diese Erfahrung oft in ihrem Leben“, machte die Dekanin deutlich. In der Corona-Zeit wurde undenkbares auf einmal möglich und nötig – keine Gottesdienste, Gottesdienste mit Abstand und offenen Türen, dafür mit eigens angeschafften Wolldecken. Aber die Gemeinde machte auch die Erfahrung, dass sie viel größer ist als gedacht – nämlich, als sie die Burg verließ und für die Gläubigen auf den Straßen und im Internet das Wort Gottes verkündete. Mit Texten, Gebeten und Gesang. „Das hat uns gezeigt, dass sich Kirche verändern muss, wenn sie weiterhin die Menschen erreichen will“, so Dr. Lubomierski. Denn Martin Luther hatte in seinem Lied nicht von der „Kirche als fester Burg“, sondern von „Gott als fester Burg“ gesprochen. So sei es nun die Aufgabe der dritten Generation, die Burg zu verlassen und den Glauben in die Welt hinauszutragen, schloss die Dekanin ihre bewegende Predigt, bei der die Andacht und die Erinnerungen an die vorhergehenden Menschen, die in der Gemeinde gewirkt hatten, spürbar wurden.
Musikalisch wurde der Gottesdienst umrahmt vom Kirchenchor, Mitgliedern der Liedertafel und Instrumentalisten unter der Leitung von Angelika Rohrmeier, die zum Auszug „Trumpet tune“ intonierten. Beim anschließenden Empfang, der vom Inklusionsbetrieb „MitArbeiten“ ausgerichtet wurde, wurden Erinnerungen ausgetauscht, die alten Bilder besichtigt und an viele gemeinsame Erlebnisse gedacht.